Refine

Durch das Refinement soll die Belastung von Versuchstieren so weit wie möglich reduziert werden. Außerdem zielt die Refinement-Forschung darauf ab, Belastungen besser zu erkennen. Forschende entwickeln Methoden und Ansätze, um die Versuche für die Tiere so schonend wie möglich zu gestalten. Um die Belastung der Tiere objektivierbar und bewertbar zu machen, arbeiten Wissenschaftler*innen zudem an standardisierten Indikatoren zur Einschätzung der Belastung.

Belastung von Versuchstieren

Die tierexperimentelle Forschung orientiert sich am 3R-Prinzip. Das gilt nicht nur bei der ethischen Rechtfertigung für den Einsatz von Tieren, sondern auch bei der standardisierten Qualitätssicherung von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die Bewertung der Belastung, die die Tiere erfahren, ist daher in der EU Teil des Genehmigungsverfahrens. Dazu zählt auch eine Einschätzung, wie stark Schmerzen, Leiden und Ängste sind, die Tiere während der Versuche erleiden.

Wissenschaftlich fundierte und routinemäßig anwendbare Skalen zur Einstufung der Belastung bei Versuchstieren gibt es bis heute noch nicht. Die Forschung in diesem Bereich ist daher einer der wichtigsten Bausteine, um die Belastung von Versuchstieren so weit wie möglich zu verringern.

Score Sheets
Zur Einschätzung bestimmter Belastungen werden häufig formalisierte Bewertungsbögen verwendet - sogenannte „Score Sheets“. Diese Score Sheets sollen gewährleisten, dass alle Personen, die an einem Versuchsvorhaben beteiligt sind, eine objektive Belastungseinstufung mittels festgelegter Kriterien vornehmen können. Dadurch soll gewährleistet sein, dass Belastungen kontinuierlich nachvollziehbar bleiben und Belastungen künftig besser vorhergesagt werden können.
Äußeres Erscheinungsbild
Das äußere Erscheinungsbild eines Versuchstieres wird durch das einfache Betrachten bewertet. Dabei bewerten die Wissenschaftler*innen etwa den Zustand des Fells bzw. der Haut. Ist dieses stumpf, gesträubt oder verschmutzt? Darüber hinaus achten die Forschenden auf die Körperhaltung. Zeigen die Tiere etwa einen aufgekrümmten Rücken, ist ihr Kopf dauerhaft abgelegt oder nehmen die Lebewesen gar eine kauernde Haltung ein?
Gewicht
Zudem messen die Wissenschaftler*innen regelmäßig das Gewicht der Tiere. Eine Gewichtsabnahme kann auf eine Erkrankung oder ein Leiden des Tiers hindeuten. Der große Vorteil an der Gewichtsmessung ist die Objektivierbarkeit.
Verhalten
Zeigt ein Tier ein verändertes Spontanverhalten, d.h. verhält es sich passiv oder verschieben sich seine natürlichen Aktivitätsphasen? Zeigen die Tiere ein reduziertes oder aggressives Verhalten oder neigen sie zur Isolation? Und wie reagieren sie auf äußere Reize: verlangsamt oder hyperaktiv?
Nahrungsaufnahme
Wie sind Wasser- und Futteraufnahme zu bewerten? Nehmen die Tiere reduziert und übermäßig viel Futter bzw. Wasser auf oder verweigern Sie gar die Aufnahme?

Wissenschaftler*innen arbeiten fortlaufend daran, die Belastungsbewertung weiter zu verbessern und noch objektivierbarer zu gestalten. Auch heute schon befinden sich daher Methoden im Einsatz, die über die Indikatoren, die im Scoresheet aufgenommen sind, hinausgehen.

Grimace Scale
Mit dem sogenannten „Grimace Scale“ beurteilen die Forschenden die Belastung der Tiere anhand einer Bewertung von Gesichtsausdrücken. Diese objektivierbaren, Art-spezifischen Skalen basieren auf Veränderungen einer Reihe von „Gesichtsaktionseinheiten", wie z. B. dem Schließen der Augen oder Veränderungen der Position und Form der Tasthaare.
Automatisierte Aktivitätsüberwachung
Technische Unterstützungen helfen den Forschenden dabei, die Aktivität der Versuchstiere automatisiert und fortlaufend zu überwachen. Auch die Käfige werden immer weiter optimiert. So können Wissenschaftler*innen das Verhalten und die Aktivität der Tiere rund um die Uhr überwachen und erhalten Informationen über biologische Rhythmen und Aktivitäten. Darüber hinaus können die Forschenden die Herzfrequenz und die Körperkerntemperatur dokumentieren und die Motorik mittels digitalisierter Laufräder automatisiert überwachen.
Nest-Score
Mithilfe eines Nestbewertungssystems beurteilen die Forschenden das Nestbauverhalten der Versuchstiere. Für Nagetiere ist der Nestbau sowohl eine wichtige Form der verhaltensbedingten Thermoregulation (Körpertemperatur) als auch eine kritische Komponente der elterlichen Pflege. Das Verhalten bzw. Veränderungen im Bauverhalten lassen Schlüsse auf das Wohlempfinden der Tiere zu.

Belastungsgrade

Die Belastung von Tieren kann bisher nicht vollständig in objektiven zahlenbasierten Skalen dargestellt werden. Eine EU-weite verbindliche Einteilung in die drei Schweregrade „gering“, „mittel“ und „schwer“ soll aber dabei helfen, diese Bewertung zu standardisieren und so vergleichbar wie möglich zu machen.

Neben diesen drei Kategorien gibt es den vierten Bereich „Keine Wiederherstellung der Lebensfunktion“. Darunter fallen etwa Versuche, bei denen Tiere unter Vollnarkose getötet werden, zum Beispiel zur Organ- und Gewebeentnahme. Aber auch für Zellkulturen, also die Entwicklung und Nutzung von Alternativmethoden.

geringe Belastung
Unter die „geringe Belastung“ fallen Eingriffe ohne wesentliche Beeinträchtigungen oder mit nur kurzzeitigen und geringen Schmerzen, Leiden oder Ängsten - zum Beispiel eine Blutentnahme oder die Markierung eines Ohrlochs.
mittlere Belastung
Die Kategorie „mittlere Belastung“ umfasst Verfahren, die nach menschlichem Ermessen unangenehm oder schmerzhaft sind. Dazu gehören auch solche Versuche, bei denen Tiere langanhaltend lediglich geringen Schmerzen, Leiden oder Ängsten ausgesetzt sind. Beispiele sind etwa das Legen eines Dauerkatheters oder chronische Giftigkeitstests.
schwere Belastung
Bei Tests mit „schwerer Belastung“ handelt es sich um Versuche, bei denen Tiere starke Schmerzen sowie schwere Leiden oder Ängste verspüren. Darunter fallen zum Beispiel die Implantation eines Kunstherzes oder Giftigkeitstests, die zum Tode führen.

Refinement-Methoden

Refinement-Methoden sollen das Wohlbefinden der Tiere außerhalb und während des Versuchs verbessern. Die im folgenden vorgestellten Refinement-Methoden stellen Beispiele für eine Vielzahl an Methoden dar, denn eine Einteilung der verschiedenen Verfahren in die Bereiche Refine bzw. Reduce oder Replace ist dabei nicht immer trennscharf möglich.

Handling

Wissenschaftler*innen setzen sich sehr genau mit dem richtigen und möglichst stressfreien Umgang mit den Versuchstieren auseinander. Bereits das Öffnen eines Käfigdeckels wird von Nagern als Störung ihres sozialen Umfelds empfunden. Jede Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit wie Fassen, Nehmen und Fixieren wirkt sich bei Tieren, die nicht daran gewöhnt sind, als Belastung aus. Wie sich ein Tier im Versuch verhält, hängt in erheblichem Maße von dem grundsätzlichen Umgang der Forschenden mit ihren Versuchstieren ab.

Eine große Rolle spielt dabei das richtige Aufnehmen und Tragen der Tiere. Traditionell werden etwa Labormäuse am Schwanzansatz gegriffen. Das Aufnehmen von Mäusen am Schwanz kann ihr Wohlbefinden aber beeinträchtigen und die wissenschaftlichen Ergebnisse beeinflussen. Untersuchungen haben gezeigt, dass das Aufnehmen von Mäusen am Schwanz Abneigung und angstassoziiertes Verhalten hervorrufen kann. Darum verwenden Forschende mittlerweile häufig ein Art Tunnel, in den das Tier hineinlaufen und dann getragen werden kann. Eine Studie der Universität Liverpool hat gezeigt, dass die Verwendung eines Tunnels oder der schalenförmigen Hand zum Aufnehmen von Mäusen weniger Angst verursacht als die traditionelle Handhabung am Schwanz.

Verbesserte Anästhesie und Analgesie

Die optimierte Anästhesie und Analgesie begleiten jedes Versuchstier wirkungsvoll bei Eingriffen, die mit Schmerzen verbunden sind. Die sorgfältige Planung, Wahl und Durchführung von Anästhesie- und Analgesie-Protokollen trägt substanziell zur kleinstmöglichen Belastung der Versuchstiere bei. Die fortlaufende Verbesserung der Anästhesie- und Analgesiemethoden stellt einen wirksamen Beitrag zum Schutz der Versuchstiere dar. Die Schmerztherapie erfolgt meistens durch den Einsatz von Medikamenten. Die Wirkung der Schmerztherapie ist während des Versuchs zu kontrollieren. Sie kann in den Überwachungsblättern (Score Sheets) dokumentiert und auch in Verbindung mit Abbruchkriterien für eine Studie definiert werden.

Minimal-invasive OP-Techniken

Genau wie beim Menschen setzen Forschende auch im Tierversuch verstärkt auf den Einsatz von minimal-invasiven OP-Techniken. Minimal-invasive Eingriffe sind Operationen mit der kleinstmöglichen Verletzung von Gewebe. Im Sinne des Refinements hat das gleich mehrere Vorteile. Denn zum einen verursacht das schonende Operieren einen sehr viel geringeren Blutverlust. Weil die Tiere hierdurch deutlich weniger verletzt werden, führen minimal-invasive Operationstechniken zu einer deutlichen Verringerung der Operations- und Wundschmerzen. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Erholungsdauer nach einem minimal-invasiven Eingriff deutlich verringert werden kann. Die Tiere erholen sich also deutlich schneller. Minimal-invasive OP-Techniken führen dazu, dass Versuchstiere deutlich weniger unter den Eingriffen leiden müssen.

Enrichment

Die Haltung von Versuchstieren berücksichtigt eine Vielzahl von Faktoren. Forschende müssen eine Reihe von Kompromissen eingehen, um unterschiedlichen Anforderungen zu genügen. Neben dem Wohlergehen der Tiere müssen Wissenschaftler*innen auch die Anzahl der unterzubringenden Tiere und die Standardisierung der Haltungsweise beachten. Das sogenannte Enrichment (dt. Anreicherung) hat das Ziel, das grundsätzliche Wohlergehen der Tiere zu steigern. Grundsätzlich gibt es drei verschiedene Kategorien der Anreicherung: Das „soziale Enrichment“ (Gruppenhaltung), das „environmental Enrichment“ (Anreicherung mit Beschäftigungsmöglichkeiten) und das „kognitive Enrichment“ (z. B. durch Lerncomputer).

Nicht invasive Verfahren

Verwenden Wissenschaftler*innen möglichst schonende Verfahren, so hat das gleich mehrere positive Effekte auf die Forschung. Denn neben dem Tierschutz können sie hierdurch negative Einflüsse vermeiden, die das Forschungsergebnis verändern könnten. Forschende entwickeln zu diesem Zweck sogenannte nicht-invasive Verfahren, die keinen Eingriff am Tier erfordern. Beispiele für nicht-invasive Methoden sind moderne bildgebende Verfahren wie MRT, CT, Atemgasanalysen oder Messungen von Energiegehalt und Stoffwechselprodukten im Kot oder Urin.

Durch bildgebende Verfahren können Wissenschaftler*innen Eingriffe in die Körper der Versuchstiere vermeiden, da sie viele Veränderungen auch von außen messen können. Anstatt Versuchstiere zu töten, um ihr Gehirn zu untersuchen, lassen sich Veränderungen der Hirnstrukturen beispielsweise durch einen MRT-Scan auch von außen feststellen. Dies ist besonders interessant bei Versuchen, bei denen Veränderungen über einen Zeitraum betrachtet werden müssen. Mit modernen bildgebenden Verfahren können auch Informationen über Vorgänge im Körper, die Gene, Moleküle oder Zellen betreffen, dargestellt werden. Dies wäre ansonsten nur durch invasive Eingriffe mit Probenentnahmen möglich oder durch Tötung der Tiere. So ergibt sich neben dem Refine auch ein Reduce wenn die Bildgebung geschickt in die Versuchsplanung aufgenommen wird und Tiergruppen nicht zu verschiedenen Zeitpunkten getötet und untersucht werden müssen.

Neben diesen Maßnahmen ist es für das Tierwohl besonders wichtig, dass die Menschen, die mit den Tieren arbeiten, auf Basis des neuesten Wissenstands arbeiten. Das gilt sowohl für eine bestmögliche Schulung der Tierpfleger*innen - aber natürlich auch für die Versuchsleiter*innen. Eine fortlaufende Weiterbildung zu tierschonenden Verfahren spielt eine wichtige Rolle. Bei allem helfen eine gute Vernetzung und die gemeinsame Nutzung von Wissen und Daten. Denn solange Tierversuche nicht komplett ersetzt werden können, ist das Refinement ein zentrales Ziel zum Schutz von Versuchstieren.